Ein paar Eindrücke vom Maidan

Eine gute Freundin von mir weilt ja in der Ukraine und war für ein paar Tage in Kiew, was sie in den 2 Tagen (13.2-14.2.2014) gesehen hat, daran wird idie sich ihr ganzes Leben lang erinnern. Gerade ist sie nach Odessa zurückgekehrt. 5 Stunden Autofahrt und ihre Gedanken wussten gar nicht, wo sie anfangen sollen zu denken.

ein befeundeter Aktivist drückte ihr zum Abschied ein Stück Lenin in die Hand und sagte ihr: „sag deinen Freunden in Europa die Wahrheit, sag ihnen wirklich wie es hier ist!“

„UFF…

Ja. Das mache ich.“

Ehrlich gesagt, war ich schon ein bisschen nervös. Ich hatte aus meinen spärlichen Informationen der letzten Monate nur die rechte „Swoboda“-Partei, brennende Autos, schiessende Polizisten und Tote im Kopf.

All das stimmt.

Aber klar, mit Vladimir und Mischa an der Seite, beide vom ersten Tag auf den Barrikaden dabei, habe ich mich ganz sicher gefühlt. Sie werden schon wissen was sie tun. Ein paar Minuten später war ich mir allerdings darüber nicht mehr so sicher, aber dazu gleich.
1921247_584907701599315_1039938631_oVladimir erlöste mich gestern, in voller Montur in Militärklamotten, aus einem Marketing-treffen der Firma, was ausschliesslich nur auf Russisch statt fand.
Wir drückten uns fest, freuten uns wie kleine Kinder und hopsten rum. In seinem Arm nahm ich sofort den Geruch von Feuer wahr und musterte ihn genauer. Auf seinem Kopf prangte eine haarlose, handtellergrosse Triangelnarbe. Unübersehbar geriet er in der Vergangenheit in eine ziemlich üble Situation. Ich überschlug mich fast und wollte gleich alles auf einmal wissen.

Eine Granate der Polizei traf ihn am Kopf und landete in seiner Kapuze, er zog geistesabwesend Jacke und Rucksack aus, schmiss es auf den Boden und starrte gefühlte Minuten auf die Granate. Nichts passierte -ein Blindgänger und Vladimir feierte nach Aussagen der Ärzte seinen zweiten Geburtstag. Mischa hatte große Angst um ihn, Vlads Kopf und Rücken waren über und über mit Blut, auf seinem Kopf klaffte eine faustgroße Wunde. „Ins Krankenhaus konnten wir ihn nicht bringen, die Krankenhäuser sind nicht sicher. Die Polizei kommt einfach in die Krankenhäuser, nehmen die Leute mit und stecken sie in den Knast. 15 Jahre kann man kriegen! Sie behandeln alle Leute auf dem Maidan wie Terroristen.“ erzählte mir Mischa später.

Oha. Mit dieser Information stiegen wir also in die Metro und ich war gespannt auf alles. Was sind da für Leute? Kann man da so einfach drauf? Werde ich Schwierigkeiten bekommen…ich spreche doch so schlecht russisch..oder soll ich lieber ukrainisch sprechen.. Ich schnürte meine Stiefel fester und liess mic1957648_584907661599319_1886721066_oh von Vlad verschmitztem Lächeln beruhigen.
Die Treppen aus der Metro kannte ich schon, hier haben meine französischen Homies gewohnt..am Lenin links vorbei und immer gerade aus.

>> Lenin… stieg vom Sockel runter und beteiligte sich an den Barrikaden. Zerstückelt liegt er unter Holzpaletten und Stacheldraht, mit schwarzer Kohle vermischt, kämpft seine steinernde Seele zusammen mit 16-Jährigen Swoboda-Anhängern gegen den Verbrecherstaat, Korruption, Fremdbestimmung, Russland, Kommunismus und vor allem: gegen die Janukowitsch- Familie.
Sein Sockel allerdings dient nun als Plattform für stetig wechselnden Ausstellungen von allerhand Künstlern. Zahlreiche goldene Männlein umzingelten ihn und vertrieben die goldene Kloschüssel, das Wahrzeichen Janukowitschs, von letzter Woche.

1622317_584479548308797_701274270_oIrgendwie tat er mir sehr Leid, das hat er nun wirklich nicht verdient. War er doch ein großer Denker in der Geschichte …mmmh und nun bekam er diesen ganzen Frust ab. Lenin ist der Inbegriff von russischer Dikatur, verantwortlich für all diese Ungerechtigkeiten in der Ukraine… das fand ich mehr als unfair. Aber ich glaube, hätte Lenin gewusst, das er mal neben dem Rathaus stehen muss, in dem nur Räuber und Banditen regieren, hätte er sich freiwillig da runtergestürzt, einen Molotow-Cocktail gegriffen und seine schwarze Maske mit Essig eingerieben.

>> Das Rathaus nahm ich als solches garnicht mehr wahr. Ängstlich drängte ich mich an Vlad und schaute verstohlen zu den maskierten Männern in Armee-kampfklamotten und Springerstiefeln, die stolz unter den wehenden Swobodafahnen und traurigen Weihnachtsbäumen standen und kontrollierten, wer auf dem Maidan ein und aus ging. Gepanzerte Schilde, Polizeihelme auf dem Kopf und Baseballschlägern in den Händen… diesen Anblick kannte ich nur von russischen Youtube-Videos. Russische Neonazis und vor dem Tode stehende, weinende Tadschiken kamen mir in den Sinn. Vlad voran mit mir an der Hand, drängelte er uns also zwischen zweien dieser Art und der Barrikade aus Reifen, Lenin, Stacheldraht und schmelzendem Schnee hindurch.

1654817_584490321641053_1891435358_oDas Rathaus ist nun also die Swoboda-Hauptzentrale, einen Bürgermeister gibt es nicht mehr. Stattdessen prangt das Portrait ihres Führers an der Fassade, Graffitis die von Revolution und Tod sprechen. „HAUPTKOMMANDANTUR DER REVOLUTION“ konnte ich mir selbst übersetzen. Eine uniformierte Armee dieser düsteren Gestalten bewachte und patroillierte vor der großen Treppe zum Eingang. Mir war absolut nicht wohl bei diesem Anblick, aber Vlad maschierte selbstbewusst in diese Richtung. In seinem Rockstar-englisch erklärte er mir, das niemand auf dem Maidan diese Idioten ernst nimmt. Keiner kann sie leiden, aber sie sind praktisch. „Willst du da rein? los komm! Aber es stinkt ekelhaft. Du musst dir vorstellen, sie wohnen und schlafen schon fast seit drei Monaten alle hier!“ schwupps schlüpfte er durch die Kette von maskierten Affen und ich steckte fest. „WAS MACHST DU HIER? WER BIST DU? HAST DU DOKUMENTE?“ Ich blieb wie angewurzelt stehen und guckte in die Augen dieses unheimlichen Riesen. Ein kleiner Goebbels, vielleicht gerade 17 Jahre alt wurde von Vlad gleich rangezogen. „Zeig den einfach deine Krankenversicherungskarte oder ein deutsches Zugticket.“ Aber soweit kam ich garnicht. Ein adretter, junger Mann im schwarzen Jacket rumpelte diesen Lulatsch vor mir an und spazierte easy die Stufen runter. Ein, für mich unverständliches Gebrüll, begann und der Wuschelkopf, Marke Herzensbrecher, drehte sich lässig um, grinste diese beiden Holzköpfe an, zeigte ihnen lachend den Mittelfinger und spazierte weiter. Ich war beeindruckt. Lulatsch und Göbbels sammelten die Reste ihrer Hoden ein und ich steuerte Richtung Eingang. FLUUMP. Und wieder steckte ich fest, genauso wie mein eben erworbenes Lächeln. Ich motivierte anscheinend das Eingangspersonal, ihr Testosteron zu präsentieren. Ich befand mich in der Höhle des Löwen und machte große Augen. Bewaffnete Schränke standen klumpenweise in der Gegend rum und machten gerade Schritte Richtung Halle unmöglich. Mir war echt nicht wohl und bekam nasse Füße bei diesem Anblick. Es roch tatsächlich widerlich und ich angelte nach Vlads Hand. „Du brauchst keine Angst haben, hier tut dir niemand was. Guck mal, hinter dir stehen sogar Juden!“ Hört sich vielleicht komisch an, aber mich beruhigte das.

1899325_584488371641248_917584717_oImmer noch verwirrt von dieser skurrilen Situation befand ich mich in der Rathaushalle, unter Fahnen, die sich genauso widersprachen, wie meine sekundenschnellen Analyseversuchen des Schauspiels vor mir. Ein alter, verkommener Mann mit Hitlerbart und Armeeklamotten, die Dummheit ins Gesicht geschrieben, führte eine Gruppe 15-Jähriger im gleichen Uniformstil und Baseballschlägern ziellos einmal quer über die Fläche. Es erinnerte mich an eine Entenfamilie. Holzbänke, wie in einer Kirche, links und rechts vor der Bühne waren von ca 50 Männern besetzt, die einfach gerade aus blickten. Auf der linken Seite der hölzernen Bühne befand sich eine dicke Dame an einem Schreibtisch, ebenfalls in der hellen Farbe des Bühnenholzes, und tippte etwas lustlos auf der Schreibmaschine. Schnell wurde mir klar, wer auf dem Maidan für sein Handeln bezahlt wird. Diese dicke Frau auf jeden Fall. Ein riesiges Porträt des Swoboda-führers prangte rechts hinter ihr. Links neben ihr stand eine Yukka-palme. Auf der rechten Seite bereitete ein Redner seinen Pult vor. Seriös erschien mir diese ganze Inzenierung nicht. Eine Sammlung von sozial und wirtschaftlich Gescheiterten mittleren Alters erlebten ihren zweiten Frühling, motiviert von der sich um sie tümmelnden, aber spärlichen Jugend. Kinderzeichnungen und Kuscheltiere mischten sich unter, an verschiedene Politiker gerichtete, Morddrohungen und dekorierten die Wände. Insgesamt gab alles ein kahles, trauriges Bild ab.

1782437_584490168307735_1939872341_oSchnell wieder raus aus Gestank und Dummheit auf die Straße. Es war mittlerweile dunkel und ich nahm den starken Geruch von Feuer wahr. „Das ist der Geruch von Revolution“-lachte Vlad. Die größte Straße Kiews bestand aus einem Armeezeltlager. Reihe an Reihe aufgestellt, jedes mit Zäunen aus Holzlatten umgeben und mit einer blau-gelben Flagge versehen. Auf dem gelben Stoff gaben die Bewohner ihre Heimatstadt bekannt. Männer meist um die 40 feuerten ihre Tonnen an um sich etwas zu essen warm zu machen und ihre Hände aufzuwärmen. Nun gehts also richtig rein in die autonome Stadt in der Stadt. Ich war mehr als aufgeregt und wusste nicht wo ich zuerst hingucken soll.

Das mulmige Gefühl vom Anfang verflog schnell, als ich das rare Aufkommen der Swoboda-affen registrierte. Sie stellen wirklich eine Minderheit dar und nach Vlads Aussagen stünden die Bärtchen-Opas alleine in der großen Halle, wenn man eine Altersgrenze „Maidan ab 18“ einführen würde. Die pubertären Jung-stiere fühlen sich wie in einem Computerspiel und sind selbst jetzt im vorrübergehenden Friedensabkommen zwischen Demonstranten und Polizei vollmaskiert und gepanzert, mit allerei Waffen in der Hand breitbeinig in Marschreihen unterwegs.

1909342_584906524932766_1270563133_oIm Grunde ist der Maidan einfach ein Traum jedes Revoluzzers, jedes autonomen Antifas, jedes Demokraten, jedes Christen, jedes Juden, jedes Ultra-Rechten sowie aller Feministen, (und aller Randgruppen die ich mal schnell unterschlage, aber sicher später noch drauf zu sprechen kommen werde) aber vorallem ein Traum jedes Fotografen, Künstlers, Filmemachers, Soziologen und Psychologen. Wie funktioniert diese heterogene Masse miteinander? Alles nach dem Prinzip „Der Feind meines Feindes ist mein Feind“. Alle sind so freundlich und hilfsbereit zueinander, dass man glatt denken könnte, das Zitat des Mannes der folgendes sagte: „Ein gut funktionierender Staat braucht einen Feind“ (Wer war das denn nochmal? Hobbes? Wer hilft mir auf die Sprünge?) findet hier seine aberfache Bestätigung. Es ist ein Staat im Staat. Alles funktioniert reibungslos. Jedes Chapter hat sein eigenes Postoffice, es gibt eine Kirche, mehrere Erste-Hilfe-Stationen, eine Bibliothek, Volksküchen, Sammelstellen für Anziehsachen, Tagungs- und Diskussionsräume, ja sogar Poetrie-slams, eine Konzertbühne mit offenem Mikrophon, mehrere Kunstaustellungen, einfach alles alles alles was man braucht. Die Hilfsbereitschaft und Solidarität unter der Bevölkerung ist so groß, dass mich ein Zitat von Vlad besonders berührte: „Wir hätten Barrikaden aus Zucker bauen können. Gleich vom ersten Tag an.“ Es ist überwältigend. Ich sehe Omas mit Schubkarren, beladen mit einem großen Kessel Suppe. Die Käsebrötchen-Mädchen aus dem Fersehen. Ein Mann mit Fuchsschwanz an der Fellmütze trägt zusammen mit seinem Freund im neongrünen Dress einen riesigen transparenten Sack mit gebrauchten, orangenen Bauarbeiter-helmen. Teams mit weissen Shirts und rotgemalten Kreuzen streifen durch die Gänge und bieten Hilfe an. Sonderbar wirken die Pandas, BugsBunnys und Zebras, die versuchen mit den wenigen Maidan-Touristen, wie mir, ein Foto machen zu wollen. Ihre Kostüme sind Kohle-verschmiert, die bunten Plastikzeiten sind vorbei. Die meinen das hier alle verdammt ernst. Griffbereit stehen Zaunlatten, Schaufeln, Stangen und Pflastersteine. Unsichtbar könnten sich hier um die 400.000 Schusswaffen befinden. Die Polizei erschoss bereits fünf Menschen, darunter ein Weissrusse und ein Armenier, der mit seinen Eltern aus dem Krieg geflohen ist. Innerhalb der einen Nacht am 11.Dezember machte die Polizei mehr als 300 Menschen zu Invaliden. Das hat viele Menschen zornig gestimmt und auf den Maidan geholt. Unser Grafiker zappelte heute unruhig und schien nicht bei der Sache. Er ist Ehemann und Vater einer 8-Jährigen Tochter und machte sich heute eher Sorgen um den schmelzenden Schnee als um die richtigen Kameraeinstellungen für die Staubsaugershow. Heute Nacht wird er wieder dabei sein, Baugerüste zusammenklauben und Sand in Säcke schaufeln. Bevor Janukowitsch von den Olympischen Spielen zurück ist, steht hier wieder alles bombenfest. Es wird noch viel Blutvergießen geben, da ist er sich sehr sicher. Die Regierung will ihre besetzten Häuser zurückhaben, das Militär verweigert jedoch jeglichen Befehl. Es herrscht im Moment Krieg.

Jeder auf dem Maidan hat seine Bestimmung gefunden, es wird ebenfalls von der Revolution für die Frauen gesprochen. Weg vom Herd, ab zur Schaufel, rauf auf die Barrikade, auf gleicher Augenhöhe wie ihre товарищ. Frauen in kurzen schwarzen Kleidern schaufeln verbranntes Holz in Säcke. Es gibt sogar eine Frauenarmee.

1548205_584481954975223_1362605913_oVlad ist seit einem Monat Kosake. Sie haben ihn offiziell in ihre Reihen aufgenommen, die Frisur hat er allerdings schon seitdem ich ihn kenne. Staatsverständnis und Identität entscheidet jeder auf dem Maidan für sich. Die Kosaken gab es früher in Russland sowie der Ukraine. Sie kämpften gegen die Raubzüge der Türken sowie gegen die Polen, als sie versuchten ein Stück Land zu erobern. Immer waren sie für ihre besonder Brutalität, Strategie und Disziplin bekannt. Schon als kleine Kinder werden sie in Kampfsport und Drill trainiert. Freie Kämpfer sind sie, ohne eine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat. Diese Gruppe erschien mir als besonders präsent und für mich beeindruckend. Sie verhielten sich ruhig, jeder Handschlag wirkte überlegt und durchdacht, die dunklen Augen scannten die Umgebung.

Die schwammigen und krummen Clowns in Snowboardbrillen und Schienbeinschonern erschienen mir dagegen durchaus lächerlich. Keine Frage, ich hätten mit ihnen auch nicht das Stenkern angefangen, dafür sind es zu viele. Aber ihre selbstorganisierten Wehrsportübungen führten sie eher drollig als kräftig aus. „SWOOBOOODA!“ schrie eines der dicken Mäusschen und feuerte mit Böllern. Alles klar. Die schon wieder.

1622413_584481854975233_364805918_oSanfte Gitarrenklänge und Langhaarige fanden sich im Sitzkreis im besetzten Kulturzentrum der Ukraine wieder. Strickpullover und Hornbrillen theorisierten im Plenum und führten unter der großen Treppe Powerpointpräsentationen vor. Eine Armee mit bunten, strumpfmaskierten und ebenfalls sorgfältig gepanzerten Körpern stiefelte in den Eingangsbereich. „PRIVJET, MENJA SAWUT OLEG. WHERE ARE YOU COMING FROM?“ Sofort hatte ich Tee in der Hand und Olegs Tawarisch Pawel führte mich durch eine Kunstaustellung und erklärte mir alles auf Englisch. Mascha putze Pawel währenddessen den Ruß mit einem Taschentuch aus seinem Gesicht. Alle sehr freundlich hier, dachte ich. Naja..ausser die Hippiemusik nervt, aber das ist ja Geschmackssache. Männer und Frauen in OP-Kleidung samt Mundschutz und Kopfhaube schenkten Essen aus und schmierten Brötchen. Viele ausgemergelte, ältere Herren aus den Zelten von draussen stellten sich ordentlich an und nahmen alles dankbar entgegen.

Jede Interessengemeinschaft hat also seine eigene Armee mit meistens dem Ältesten als Sprecher für die Gruppe. Wieviele Armeen es genau gibt, weiss ich nicht mehr. Viele. Diese widerum haben alle eine Nummer und sind in einem Plan vermerkt. Im Falle des Worst-Case kennt also jeder seinen Platz. Es ist klar, wer wo kämpfen wird. So klärte Mischa auch meine Verwunderung über die Juden in der Swoboda-Zentrale am Anfang meines Abenteuers. „Wahrscheinlich hatten die Juden Feierabend mit ihrer Schicht und jetzt sind die Swoboda dran. Sie wollten sich also absprechen.“ Ich staunte nicht schlecht. Wenn das Adolf wüsste. Wahrscheinlch würde er sich wie Lenin am Kopf kratzen. Wenn er das theoretisch noch könnte. Ich stell mir da gerade auf jeden Fall so vor.

Im Prinzip geniessen alle den gerade aufblühenden Patriotismus in den Köpfen, zwischen den Menschen. Jeder ist willkommen, ausser Leute mit „Russenflaggen“ erklärte mir Vlad. Letzte Woche war er hier mit seinen Freunden aus Argentinien und niemand hat irgendetwas blödes gesagt oder komisch geguckt. „Wir wollen doch einfach nur unsere Ruhe und in Frieden gelassen werden!“ ,definierte er kurz das Ziel der Kämpfenden. Ukraine hat noch nie einen Krieg angefangen! Russland will über uns bestimmen! Das war schon immer so! Und die EU will uns jetzt auch auf ihre Seite ziehen. Glaub bloß nicht, dass der Kampf für die EU ist! Das interessiert hier keinen, erzähl das deinen Leuten in Europa! Erzähl ihnen: Wir sind keine irren Nazis, die für den Kampf bezahlt werden! Jeder ist freiwillig hier! Im Sommer haben die meisten keine Zeit dazu, da arbeiten sie auf den Feldern. Aber jetzt gibt es eh nichts zu tun. Es ist die beste Zeit um die Regierung zu stürzen!“

Wir liefen an hunderten von singenden Menschen vorbei die unter der „golden Ukraine“-Statur stehen und alte Volkslieder angestimmt haben. Die meisten von ihnen sind alte Leute mit Bärenfotzen auf dem Kopf. Sie halten Kerzen in den Händen, andere weinen, wieder andere beten. Ein stiller, schöner Moment. Jung und alt stehen zusammen und alle sind sich einig: so kann es nicht weitergehen. Ich lächelte einem alten Mann ohne Bein mit Weihnachtsmannbart ins Gesicht. Er sang aus vollem Halse wunderschön. „Über die Liebe“ komplettierte Vlad meine Gedanken.
„Da hast du deine brutalen Nazis! Wir bezahlen sie fürs Singen! Bullshit! Viele Ukrainer nehmen ihren Jahresurlaub um hierher zukommen! Guck mal, es gibt kostenlose Mitfahrzentralen! In jede Stadt der Ukraine! Jeder tut was er kann. Viele alte Menschen spenden sogar ihre Renten!“
„Ja das habe ich gehört“ antwortete ich ihm. „Die Eltern unseres Grafikers haben sogar zwei Monatsrenten auf einmal gespendet“.

Wir liefen an Gulaschkanonen vorbei zur großen Barrikade, die Demostranten und Staatsgewalt voneinander trennt. OPPPA und hoch. Ein Maskierter zog mich an der Hand zu seiner Linken und schon stand ich auf einem massiven Gebilde aus Fundsachen des Straßenverkehrs. Ausgebrannte Busse und brennende Reifen sollen die Polizisten daran erinnern, hier besser keinen Stress zu machen. 24 Stunden am Tag stehen sie unter der Beschallung von Kampfmusik, die Boxen extra auf sie gerichtet. Das Feld ist riesig, mit meiner Kamera zoome ich mir die Polizisten ins Bild. Die Häuserfassaden und der einst weisse riesige Torbogen sind schwarz von dem Flammenmeer, was hier einst regiert haben muss. Ein bewegender Moment für mich. Ich tat es den anderen in der Reihe gleich und guckte mit stählerndem Blick Richtung der Polizisten. Auf das Battle-field, wie es Vlad nennt, darf keiner. Die Armee-patroillen passen da ganz streng auf, keine Provokationen. „Wir müssen uns erst im klaren werden, was wir überhaupt wollen, wenn die Regierung gestürzt ist. Keiner weiss wie es weitergehen soll. Wir brauchen Zeit um nachzudenken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch bis zum Sommer hierbleiben werden. Nach hause geht hier keiner mehr!“

Aber wir gingen erstmal Richtung Metro, Mischa wartet zu Hause schon mit Hühnchen. Für Frauenbesuch in der Rockerbude im Neubaublock kocht die Frau des Bürgermeisters von Ukrainka- Mischas Mutti.
„Man muss immer vorsichtig sein und nach den Menschenfängern Ausschau halten! Wenn man nach Rauch riecht oder nach „Maidan“ aussieht, nehmen die dich einfach mit! 36 sind schon weg! Sie werden in den Wald gebracht und dort erfrieren sie!

Vollgepackt mit Eindrücken sitze ich in der Maschrutka nach Ukrainka, gucke aus der verschmierten Scheibe in die Nacht. Vlad pennt an meiner Schulter, er ist ziemlich angeschlagen und hatte wie viele andere auch, eine dicke Erkältung und Fieber. Morgen früh gehts wieder auf den Maidan und ich entschloss mich, nach der Flasche Wein mit Mischa, ins Bett zu gehen um morgen fit zu sein. Beeindruckt lag ich wach und starrte ins dunkel. Es ist einfach ganz anders, als ich es vermutet habe.

mehr Fotos gibts hier.

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